Titel:
Normenkette:
StAG § 10 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Identitätsnachweis kann nicht mit somalischen Personenstandsurkunden und Ausweispapieren erfolgen; diese sind lediglich dazu geeignet, Anhaltspunkte zur Identität des jeweiligen Antragstellers und Indizien für die Klärung des Sachverhalts zu geben (Fortführung von VGH München BeckRS 2018, 32464). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Beweismittel zum Identitätsnachweis müssen in sich stimmig sein und auch bei einer Gesamtbetrachtung jeweils im Einklang mit den Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner Person und seinem übrigen Vorbringen stehen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2020, 38039). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verpflichtungsklage auf Einbürgerung, Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit des Einbürgerungsbewerbers, fehlende Beweiskraft somalischer Personenstandsurkunden und Ausweispapiere, Einbürgerung, Verpflichtungsklage, Klärung von Identität und Staatsangehörigkeit, Somalia, Beweiskraft von Urkunden
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 05.10.2023 – M 27 K 21.1416
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6222
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 5. Oktober 2023 wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am ... 1994 geborener somalischer Staatsangehöriger, begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten zu seiner Einbürgerung.
2
Mit Bescheid des Bundesamts vom 8. Juni 2012 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen am 24. August 2010 gestellten Asylantrag des Klägers ab und stellte das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach §60 Abs. 7 AufenthG fest.
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Am 26. Juni 2015 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis zum 25. Juni 2017 befristete Aufenthaltserlaubnis. Seit dem 19. Mai 2016 ist der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach §35 AufenthG. Am 23. Juli 2018 stellte ihm die Beklagte einen bis zum 22. Juli 2028 gültigen Reiseausweis für Ausländer aus.
Am 26. April 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten seine Einbürgerung und legte eine somalische Geburtsurkunde mit Ausstellungsdatum 26. November 2017 mit beglaubigter Übersetzung vor.
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Mit Bescheid vom 3. Februar 2021 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Seine Einbürgerung komme nicht in Betracht, da seine Identität nicht geklärt sei. Der vorgelegten somalischen Geburtsurkunde komme keinerlei Beweiswert zu. Es bestünden erhebliche Zweifel an den Identitätsangaben des Klägers, der bei einem Voraufenthalt in Italien Aliaspersonalien angegeben habe.
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Am 12. März 2021 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München mit dem Ziel der Verpflichtung der Beklagten zu seiner Einbürgerung. Im Klageverfahren legte er die Kopie einer von der somalischen Botschaft in B. am 9. Mai 2022 ausgestellten Geburtsurkunde sowie eines am selben Tag ausgestellten und bis 8. Mai 2027 gültigen Reisepasses vor.
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Mit Urteil vom 5. Oktober 2023 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf seine Einbürgerung gemäß §10 Abs. 1 Satz 1 StAG, da weder seine Identität noch seine Staatsangehörigkeit geklärt seien. Der vorgelegte somalische Reisepass und die zwei Geburtsurkunden seien nicht geeignet, die Identität des Klägers zu klären. Der Zugang zu gefälschten somalischen Reisepässen und sonstigen Dokumenten sei in Somalia unproblematisch möglich. Ein förmliches Überprüfungsverfahren für somalische Urkunden bestehe derzeit nicht. Auch die inhaltliche Richtigkeit von somalischen Behörden ausgestellter Dokumente unterliege einbürgerungsrechtlich erheblichen Zweifeln. Dokumente und Bestätigungen der somalischen Botschaft würden in der Regel nur auf Grundlage der Angaben der Antragsteller ausgestellt. Es bestehe keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte zu erhalten. Vor diesem Hintergrund seien somalische Personenstandsurkunden lediglich dazu geeignet, Anhaltspunkte zur Identität des jeweiligen Antragstellers und Indizien für die Klärung des Sachverhalts zu geben. Es sei im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Identität des Einbürgerungsbewerbers auf der Grundlage seiner persönlichen Angaben und der gegebenenfalls vorgelegten Dokumente als geklärt angesehen werden könne. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Die von ihm vorgelegten Dokumente seien zwar sämtlich auf die von ihm in Deutschland angegebenen Personalien ausgestellt. Der im Jahr 2017 in Somalia ausgestellten Geburtsurkunde des Klägers komme unter Bezugnahme auf obige Ausführungen jedoch kein Beweiswert zu. Hinsichtlich der von der somalischen Botschaft ausgestellten Dokumente sei davon auszugehen, dass diese lediglich auf der Grundlage der Angaben des Klägers zu seinen Personalien ausgestellt worden seien. Das Gericht verkenne nicht die damit bestehenden Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Klägers. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang jedoch, dass dieser gegenüber den italienischen Behörden eine abweichende Identität angegeben habe. Angesichts dieser Ungereimtheiten bestünden erhebliche Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der im Einbürgerungsverfahren vom Kläger angegebenen Personalien, welche unter Bezugnahme auf obige Ausführungen auch nicht durch die vorgelegten Dokumente ausgeräumt werden könnten. Dies gehe nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen zulasten des Klägers. Eine Bindungswirkung hinsichtlich der dort festgehaltenen Personalien des Klägers ergebe sich nicht aus der ihm am 18. Mai 2016 erteilten Niederlassungserlaubnis, dem Bescheid des Bundesamtes vom 8. Juni 2012 oder dem am 23 Juli 2018 ausgestellten Reiseausweis.
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Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit dem die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils geltend gemacht werden. Die Beklagte und die Landesanwaltschaft B. als Vertreterin des öffentlichen Interesses treten dem Zulassungsvorbringen entgegen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe, soweit sie in der nach §124a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Weise dargelegt worden sind, nicht vorliegen.
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a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht ordnungsgemäß dargelegt. Dies würde voraussetzen, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ihre Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit erläutert und darüber hinaus darlegt, warum der genannten Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2022, §124a Rn. 72).
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Der Kläger sieht die Frage als grundsätzlich bedeutsam an, ob die Vorlage von Geburtsurkunden und eines Reisepasses zur Identitätsklärung ausreicht, wenn in einem vorherigen Verfahren im Ausland abweichende Angaben zur Identität gemacht wurden. Hierbei handelt es sich um keine Frage, die grundsätzlich klärungsfähig wäre.
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Den unverzichtbaren Nachweis seiner Identität hat der Einbürgerungsbewerber in der Regel durch Vorlage seines nationalen Reisepasses oder eines anderen Dokuments seines Heimatstaates mit Identifikationsfunktion zu führen. Hingegen bestehen ernsthafte und aufklärungsbedürftige Zweifel an der Identität u.a. dann, wenn geeignete Identitätsdokumente seines Herkunftsstaates fehlen (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2018 – 5 C18.2372 – juris Rn. 9). Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 28 f.) ist zur Überzeugung gelangt, dass die Identität des Klägers trotz der vorgelegten somalischen Geburtsurkunden und des somalischen Reisepasses als ungeklärt anzusehen sei. Der im Jahr 2017 in Somalia ausgestellten Geburtsurkunde des Klägers komme kein Beweiswert zu. Hinsichtlich der von der somalischen Botschaft ausgestellten Dokumente sei davon auszugehen, dass diese lediglich auf der Grundlage der Angaben des Klägers zu seinen Personalien ausgestellt worden seien.
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Sonstige nichtamtliche Urkunden oder Dokumente, die geeignet sein könnten, die Angaben zu seiner Person zu belegen, hat der Kläger nicht vorgelegt. Seine Identität ist auch nicht in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren verbindlich festgestellt worden. Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 30) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass von deutschen Behörden für den Kläger ausgestellte Ausweisdokumente und erlassene Bescheide hinsichtlich der dort enthaltenen Personalien keine Bindungswirkung entfalten (vgl. BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C27.10 – juris Rn. 19 f.; BayVGH a.a.O. Rn. 11).
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In einem derartigen Fall ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles und des gesamten Vorbringens des Einbürgerungsbewerbers zu prüfen, ob dessen Identität entscheidend auf der Grundlage seiner Angaben zu seiner Person als geklärt angesehen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2020 – 1 C36/19 – juris Rn. 19 und 31; BayVGH a.a.O. Rn. 10). Die vom Kläger formulierte Frage kann demnach nicht in allgemeingültiger Weise beantwortet werden.
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Im Übrigen ist diese Frage auch nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass ein Identitätsnachweis nicht mithilfe somalischer Personenstandsurkunden und Ausweispapiere erfolgen kann. Diese sind lediglich dazu geeignet, Anhaltspunkte zur Identität des jeweiligen Antragstellers und Indizien für die Klärung des Sachverhalts zu geben (vgl. hierzu im Einzelnen BayVGH a.a.O. Rn. 10). Das Verwaltungsgericht (UA Rn. 28) hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und dabei auch den jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Somalia vom 15. Mai 2023 herangezogen. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich nicht konkret, inwieweit diese Rechtsprechung unrichtig sein könnte. Folglich ist die Vorlage somalischer Personenstandsurkunden wie einer Geburtsurkunde oder eines Reisepasses allein zur Identitätsklärung ungeeignet. Es liegt auf der Hand, dass frühere Angaben des Einbürgerungsbewerbers gegenüber ausländischen Behörden, die wie im Falle des Klägers von seinen aktuellen Angaben abweichen, nichts an der fehlenden Eignung somalischer Personenstands- und Ausweisdokumente zur Identitätsklärung ändern.
16
b) Der Kläger hat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) im Sinne von §124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt. Solche ernstlichen Zweifel sind nur gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 –1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243/1244 m.w.N.).
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In diesem Zusammenhang rügt der Kläger sinngemäß, die von ihm vorgelegten somalischen Personenstandsurkunden hätten als Nachweis seiner Identität und Staatsangehörigkeit anerkannt werden müssen. Es sei ihm unzumutbar, weitere Nachweise hierfür vorzulegen. Die gegenüber italienischen Stellen angegebenen Personalien seien unzutreffend und könnten nicht berücksichtigt werden, weil der Kläger sie unter dem Eindruck einer mehrtägigen Flucht über das Mittelmeer und nach Vorgaben von Schleusern gemacht habe.
18
Dieser Vortrag entspricht nicht dem Darlegungsgebot gemäß §124 Abs. 4 Satz 4 VwGO. Der Kläger hat sich nicht mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts (UA Rn. 28) zur Frage der Eignung somalischer Personenstandsurkunden zur Identitätsklärung auseinandergesetzt. Das Verwaltungsgericht hat in Einklang mit der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs festgestellt, aus der fehlenden Aussagekraft der vorgelegten Dokumente resultierten Beweisschwierigkeiten des Klägers, und hat die Frage der Identität des Klägers auf Grundlage seines Vorbringens unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls bewertet. Es hat zudem richtigerweise im Hinblick auf frühere abweichende Angaben eine Identitätsklärung allein aufgrund der aktuellen Angaben des Klägers verneint. Beweismittel zum Identitätsnachweis müssen in sich stimmig sein und auch bei einer Gesamtbetrachtung jeweils im Einklang mit den Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner Person und seinem übrigen Vorbringen stehen (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 20).
19
Im Übrigen lässt sich aus dem vom Kläger angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 25. März 2022 (4 K 476/21.MZ – juris) nichts zugunsten der Auffassung des Klägers herleiten. In dieser Entscheidung (a.a.O. Rn. 44) wird in Einklang mit dem angefochtenen Urteil vom 5. Oktober 2023 ausgeführt, vorgelegte somalische Urkunden seien lediglich dazu geeignet, Anhaltspunkte zur Identität des Klägers und Indizien für die Klärung des Sachverhalts zu geben. Maßgeblich für die Bewertung im genannten Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz, die Identität und somalische Staatsangehörigkeit des dortigen Klägers seien geklärt, war die Würdigung schriftlicher Erklärungen von zwei Personen, in denen bestätigt wurde, diese seien somalischer Herkunft und Bruder bzw. Onkel des Klägers im dortigen Verfahren (a.a.O. Rn. 48 ff.). An vergleichbaren Beweismitteln fehlte es im vorliegenden Fall.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §47 Abs. 3 i.V.m. §52 Abs. 1 GKG und Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).